Die Geschichte zum Kulturhaus
Die Lehnitzer bauen sich ein Haus für die Kultur
Von Bodo Becker
Am Ende der 50iger Jahre gründete sich aus einer Gruppe von Theaterbegeisterten das „Lehnitzer Zimmertheater“ am Friedrich-Wolf-Haus. Mit Unterstützung von Else Wolf, seit 1957 Mitglied des Rates der Gemeinde, wollten die Laienschauspieler das dramatische Erbe des 1953 verstorbenen Friedrich Wolfs pflegen.
Günstige Bedingungen fanden die Aktivitäten durch neue Tendenzen in der Kulturpolitik der SED. Die 1. Bitterfelder Konferenz von 1959 setzte eine größere künstlerische Betätigung der Werktätigen zum Ziel. In Lehnitz bauten sich die Laienspieler 1960 mit Hilfe von Handwerkern den größten Raum im Hochparterre des Friedrich-Wolf-Hauses zu einem Zimmertheater aus. Dafür spendete Else Wolf 3000 DM. Zusätzlich gab es so genannte NAW-Einsätze der Lehnitzer Bevölkerung.
Das Nationale Aufbauwerk (DDR-Kürzel=NAW), 1951 von der SED ins Leben gerufen, war eine gelenkte Bewegung für die freiwillige Durchführung von unbezahlten, außerhalb der regulären Arbeitszeit liegenden, Arbeiten für die Allgemeinheit. In Lehnitz besaß man zu diesem Zeitpunkt bereits lange Erfahrungen mit freiwilligen Arbeitseinsätzen im Rahmen des NAW.
Für die fernsehlosen Feierabende fehlte den meisten Lehnitzern aber immer noch ein großer Saal für Filmvorführungen. Die Schulaula oder der Saal in der Gaststätte „Lindenhof“ ermöglichten kein optimales Kinoerlebnis.
Gemeindevertreter und Bürgermeister Herbert Kreuschner fassten daher die günstige Gelegenheit beim Schopfe und machten den Anbau eines Kulturhaussaales an die Hinterfront des Friedrich-Wolf-Hauses im Rahmen des neuen Siebenjahrplans zum Planvorhaben.
„Da weder Landwirtschaft noch Industrie im Ort vorhanden sind, muss sich der Plan auf das Nationale Aufbauwerk konzentrieren. Vordringlich ist hierbei der Bau des Kulturhauses. Nach Zusage des Kreisbaudirektors kann die Oranienburger Bauhütte Süd den Bau errichten.“
So die Ausführungen des Bürgermeisters am 9. Februar 1960 auf einer Gemeindevertretersitzung.
Der anwesende Jochen Richter, Mitbegründer des Lehnitzer Zimmertheaters, erklärte sich sogleich bereit, Veranstaltungen vorzubereiten. Doch zwischen Planungen und Realität lagen in der DDR zumeist Welten. So kamen die zugesagten Handwerkerkapazitäten von Seiten des Kreises nicht.
Erst in der zweiten Hälfte des Jahres 1961 begannen NAW-Helfer und die Lehnitzer Maurerfirma von Oskar Härtel mit den Bauarbeiten.
Nach der Grundsteinlegung im Sommer trieben Helfer und Maurer die Fertigstellung des Rohbaus bis zum Ende des Jahres voran. Als Baumaterial dienten die von Aufbauhelfern geputzten Steine aus noch vorhandenen Kriegsruinen.
Der Rechenschaftsbericht über die Erfüllung des „Planes des Nationalen-Aufbauwerkes“ der Gemeinde Lehnitz im Jahre 1961 führte auch den Stand der „Arbeiten am Schwerpunkt Nr. 1“ auf. Geschickt orientierte sich der Verfasser bei der Beschreibung des Vorhabens an die neuen kulturpolitischen Tendenzen der herrschenden SED:
„So wird unser künftiges Kulturhaus zum Mittelpunkt des geistig-kulturellen Lebens auch in unserer Gemeinde werden und damit eine Aufgabe erfüllt werden, wie es sie auf der 14. Tagung des Zentralkomitees der SED gestellt wurde“.
Noch gingen die Verantwortlichen von einer Fertigstellung zum 13. Jahrestag der Gründung der DDR, also am 7. Oktober 1962 aus.
Doch es war bald absehbar, dass nicht rechtzeitig vorhandenes Baumaterial oder die Nichteinhaltung von zugesagten Terminen der Handwerksbetriebe die Fertigstellung in das nächste Jahr hinausschoben. Um die Arbeiten mit dem Frühjahr 1963 dann forciert aufnehmen zu können, bildete sich am 22. Februar aus den aktivsten Aufbauhelfern ein vierzehn Mitglieder umfassendes NAW-Aktiv. Ab März wurden dann die sonntäglichen Arbeitseinsätze wieder durchgeführt.
Arbeitsfähige Gemeindevertreter und Einwohner sowie ganze Straßengemeinschaften, z.B. der Diana- und Florastraße, gaben Verpflichtungen für die Sonntagsarbeit ab.
Im April schloss die Gemeinde einen Vertrag mit der zuständigen Firma für die Innengestaltung. Diese sollte ihre Arbeiten bis zum 15. September abschließen. Wochen später bat die Firma um eine Terminverschiebung.
Der Bürgermeister und der Rat der Gemeinde wollten den Kulturhaussaal jedoch am 7. Oktober unbedingt einweihen. Im ersten Halbjahr wurde unter anderem der Unterbeton für den Fußboden fertig gestellt, die Heizung eingebaut, mit dem Einbau der Wasseranlage begonnen und 240 qm Parkett verlegt.
Unter den damaligen wirtschaftlichen Verhältnissen waren die erbrachten Leistungen auszeichnungswürdig. Immer wieder auftretenden Probleme und deren Lösungen widerspiegelt das Protokoll des Gemeinderates vom Juni 1963:
„Durch Fürsprache ist es gelungen, den für die Weiterführung des Baus so dringend benötigten Zement zu erhalten. Bürgermeister Kreuschner und Gemeindevertreter [Alfred] Lachmann waren deshalb extra in Berlin. Der Zement kann aus Karlshorst geholt werden.“
Mit wie viel Einfallsreichtum Engpässe überwunden wurden, zeigt ein anderes Beispiel. Im hinteren Bereich des Saales hatte man eine Deckenabhängung in Form einer Lattenkonstruktion vorgesehen. Dafür gab es jedoch keine passenden Lampen, so dass die gewünschten Zylinderlampen aus Konservenbüchsen gebaut wurden. Versehen mit einem passenden Anstrich erfüllten sie viele Jahre ihren Zweck.
Die Berichte über die NAW-Einsätze lesen sich wie ein Wettlauf mit der Zeit und geben zugleich Zeugnis über die vermutlich mehr oder weniger freiwillige Einsatzbereitschaft aller Beteiligten ab. Durchschnittlich 30 Einwohner waren jeden Sonntag auf der Baustelle.
Mit Beginn der Erntezeit stellten die Lehnitzer zusätzlich Erntehelfer an den Wochenenden für die LPG Schmachtenhagen, denn von dort bezog die Gemeinde ihre Einkellerungskartoffeln.
Bis September verbuchten die besten Aufbauhelfer zum Teil über 200 Einsatzstunden Trotz des überragenden Arbeitseinsatzes gelang es nicht, den Termin 7. Oktober punktgenau einzuhalten.
Am Sonntag, dem 6. Oktober, und am nachfolgenden Gründungsfeiertag der DDR arbeiteten insgesamt über 100 Helfer an der Fertigstellung.
Endlich, am 12. Oktober 1963, war es dann soweit. Die Lehnitzer Einwohner konnten mit einer festlichen Einweihungsveranstaltung ihren langersehnten, gemeinsam errichteten Kulturhaussaal in Besitz nehmen.
Besondere Aufmerksamkeit rief bei den Anwesenden eine von Else Wolf finanzierte Fototafel an der Rückseite des Saales hervor, die den langgestreckten Raum optisch verkürzen sollte. Die darauf abgebildeten zwölf Figuren aus Dramen von Friedrich Wolf hatte der Künstler Konrad Felixmüller gestaltet.
Der Gesamtwert des geschaffenen Gebäudes belief sich auf über 180.000 DM. Doch daran dachten die anwesenden Erbauer und Eigentümer an diesem Abend vermutlich nicht. Nach der Festrede von Heinrich Taut, Sohn des Architekten Bruno Taut, gestalteten Künstler des Monopol-Theaters Berlin ein Unterhaltungsprogramm.
Neben der anwesenden Else Wolf gehörte auch der Filmregisseur Konrad Wolf zu den Gästen.
Ein für die damaligen Lehnitzer wichtiges Ziel konnte auch der neue Saal nicht verwirklichen. Die Deckenhöhe des für die Aufnahme der Filmprojektoren vorgesehenen Raumes über den Eingangsbereich reichte nicht aus, so dass diese bei Filmvorführungen im Saal stehen mussten. Dieser Mangel stellte sich in den folgenden Jahren aber als nicht allzu schmerzlich heraus, denn das familiäre Latschenkino verdrängte die öffentlichen Filmvorführungen aus dem Blickfeld der damaligen Freizeitgestaltung.
Doch die wichtigste Vision der Aufbaugeneration wurde Realität: Das Lehnitzer Kulturhaus „Friedrich Wolf“ entwickelte sich zu einem kulturellen und gesellschaftlichen Zentrum der Gemeinde und weit darüber hinaus.
An uns bleibt daher die verpflichtende Aufgabe, den Mut und den Fleiß der vielen Erbauer nicht der Vergessenheit preiszugeben und ihr geschaffenes Werk für die Zukunft zu erhalten.